Mesdames, Messieurs – willkommen. Ich bin zwar nicht da, aber trotzdem eure Gastgeberin – geht ruhig in den Garten und bedient euch am Vieh (sofern die undankbaren Schweine noch dort sind), aber bitte tötet sie schnell, damit sie es am Morgen wieder vergessen haben.\n\nSolltet ihr dort eine seltene Kreatur antreffen, bitte ich euch, dies im Tagebuch zu vermerken, da ich großes Interesse an den einheimischen Kreaturen Aeternums hege – und aus Höflichkeit gegenüber eurer Gastgeberin möchte ich euch auch bitten, meine Trophäen nicht anzurühren, da ich große Mühen auf mich genommen habe, um in ihren Besitz zu gelangen, und da jede ihre eigene Geschichte besitzt.\n\n– Renée Marie Cartier

In meiner Abwesenheit

Grußwort

Mich interessieren nicht die Tiere, die wir auf der La Renommée mitgebracht haben – und auch nicht die Hirsche und Wölfe auf dieser Insel, auch wenn sie sehr groß und aggressiv sind – ich interessiere mich für die Bestien, die auf Aeternum heimisch sind. Ich fürchte, es wird ein ganzes Leben dauern oder sogar mehrere, bis ich sie alle gesehen habe – aber meine Neugier zwingt mich zum Handeln. Selbst die Erinnerung an Jacques ist verblasst, fortgewaschen von dem Sturm, der ihn mit sich nahm – aber vielleicht ist das ja auch gut so, denn hätte er überlebt, wäre mein Leben anders verlaufen.\n\nIch habe eine Chance erhalten, von der viele nur träumen – diese Insel zu erforschen und herauszufinden, was hier gedeiht.\n\n– Renée Marie Cartier

Renées Tagebuch

Ein Lebenswerk

Jetzt weiß ich, was die Tierwanderung ausgelöst hat – sie ziehen südwärts auf der Flucht vor der tiefen Schlucht im Norden. \n\nSollte das tatsächlich stimmen, könnte es eine Warnung sein, dass sich die Verderbten dort zu einem neuen Vorstoß ins Lichtholz versammeln. Dies hat mir meinen Jagddurst genommen – bleibe ich zu lange hier, werde ich zur Gejagten, und ich fürchte um meine Seele, sollten diese Teufel mich gefangen nehmen und zum Bruchberg bringen.\n\n– Renée Marie Cartier

Wanderung

Zumeist gehe ich in dieser Gegend zum Zeitvertreib auf Bisonjagd – hier und in Immerfall sind sie sehr zahlreich und die Häute kann man in Windkreis teuer an jene verkaufen, die diese Arbeit scheuen. Ich hege keine so große Abneigung gegenüber der Kälte wie andere Siedler – am Fuße des Gebirges zu jagen, bringt mir große Entspannung. Ich schlug mein kleines Ausgangslager auf dem Berg im Norden neben den Pfaden auf, aber fand nur wenig Jagdbeute vor, da die Tiere höher in die Schneelagen des Gebirges gezogen waren als zuvor.\n\nDort fand ich den ersten Bisonkadaver – auf den ersten Blick schien das Tier von Wölfen gerissen worden zu sein, aber bei genauerer Betrachtung wiesen die Wunden weitaus größere Biss- und Klauenspuren auf als von gewöhnlichen Wölfen. Als ich den Kadaver noch genauer untersuchte, bemerkte ich, dass das Maul des Bisons vereist war, als wäre ihm der Atem gefroren, bevor es starb. Die vereisten Spuren des Angreifers führten in das nördliche Gebirge.\n\n– Renée Marie Cartier

Kältetod

Die Spuren der Kreatur, die den Bison gerissen hatte, deuteten auf einen Wolf hin – aber kein Rudel, sondern einen einzelnen. Jedoch stammten sie der Tiefe nach zu schließen von etwas, das wesentlich schwerer als ein Wolf war – und in den Spuren lagen kleine, zerbrochene Zweige, und einer von ihnen, der aussah, als gehöre er zu einer Baumwurzel, wies die gleichen Eisspuren auf wie die Wunden des Bisons.\n\nIch bin zwar kein Feigling, aber die Rätsel dieser Insel machen mir Angst, da ich nicht weiß, welches Monster in Wolfsgestalt hier durch den Schnee streift. Die Spuren führen jedenfalls aus dem Wald heraus – und mehr möchte ich gar nicht herausfinden.\n\n– Renée Marie Cartier

Das neue Raubtier

Nachdem ich auf den Pässen kaum noch Bisons finden konnte und mir die eigenartigen Wolfsspuren im Gebirge einen Schrecken eingejagt hatten, mied ich die Schneelagen des Gebirges und zog stattdessen die Jagd im Wald vor. \n\nWährend der heutigen Jagd erblickte ich den Hirsch zum ersten Mal – es war kein gewöhnlicher Hirsch, wie wir ihn alle kennen, sondern etwas, das dem Wald entsprungen zu sein schien und die Gestalt eines Hirsches angenommen hatte – ich weiß nicht, wie ich es richtig erklären soll. Auf seinem Geweih wuchsen Moos und Blumen und seine Haut bestand aus saftig-grünem Waldgras. Sein Anblick verblüffte mich so, dass ich zur Salzsäule erstarrte und erst wieder Luft holen konnte, als die Kreatur mich entdeckt zu haben schien und mit einem großen Satz im Unterholz verschwand.\n\nNun erscheint mir jeder Umriss, den ich im Wald sehe, als verblüffend: Die Tiere auf der Insel werden nicht von den Jahreszeiten beherrscht, sondern von ihnen geformt – von der Erde, der Vegetation, sogar von Eis und Schnee.\n\n– Renée Marie Cartier

Der Waldhirsch

Beim ersten Sonnenstrahl breche ich zum großen Kratersee auf – ich habe eine lange Reise vor mir, glaube aber, dass sie schnell vorübergehen wird. Ich habe Geschichten über die seltsamen Kreaturen dort gehört, die aus verwobenem Holz zu bestehen scheinen – ein Fallensteller im örtlichen Außenposten hat der Kreatur einen Namen gegeben: ein "Spriggan", ein Baumgeist, so groß wie vier Männer, mit Torso und Gliedmaßen aus lebenden Zweigen – ist er vielleicht der Insel entsprungen? Oder hat ihn das Azoth im Wald erschaffen?\n\nDiese Insel steckt voller Wunder und ich möchte sie alle sehen. Möge mir das Glück auf meiner Reise hold sein – ich will nur einen kurzen Blick auf den Geist erhaschen und wenn ich dafür wochenlang um den See herumlaufen muss.\n\n– Renée Marie Cartier

In die Tiefen

Ich hatte eine seltsame Zufallsbegegnung mit jemandem, den ich fast schon vergessen hatte – dem gelehrten Gentleman, den ich voriges Jahr kennengelernt hatte, M. Grenville. Er schien von der gleichen Wanderlust gepackt worden zu sein wie ich, wobei er sich eher dem Ausgraben von Steinen und dem Untersuchen von Ziegeln alter Ruinen widmet. Ich bot ihm und seinen Gefährten an, die Nacht bei mir zu verbringen, aber obwohl seine Gefährten sich nach einer Rast zu sehnen schienen, wollte er offenbar unbedingt weiter. Er sprach ununterbrochen von irgendeiner großen Entdeckung, die kurz bevorstand, sollte er Recht behalten. \n\nEr war zwar nicht aggressiv und wollte gewiss nicht unhöflich sein oder mich beleidigen, aber sein Verhalten beunruhigte mich und er schien es sehr eilig zu haben. Er schien nicht auf der Flucht vor, sondern auf der Jagd nach etwas zu sein. \n\nUm ihn zu beruhigen, fragte ich ihn, ob er noch immer Klavier spiele, was ihn kurz verwirrte, als hätte er das komplett vergessen. Dann schüttelte er den Kopf, als handele es sich dabei um eine unerfreuliche Erinnerung, eine Ablenkung. Ich hoffe, er findet, wonach er sucht, auch wenn ich fürchte, dass er im Lichtholz irgendetwas aufschrecken könnte, wenn er nicht langsamer macht.\n\n– Renée Marie Cartier

Eine Zufallsbegegnung

Die Geräusche der Tiere haben mich aufgeweckt – ich hörte sie mitten in der Nacht heulen und sah blaues Laternenlicht auf den Straßen, die seit meiner Ankunft auf dieser Insel dunkel gewesen waren. Und dazwischen brüllte etwas, immer lauter, bis es wieder verstummte – und ein grelles, eiskaltes Licht entsprang dem großen Felsen, der in der Mitte des Steinringes thront. \n\nIch habe zwar Angst vor dem, was ich finden werde, aber ich werde nicht tatenlos rumsitzen und warten, bis es mich erwischt. Nicht, bevor ich es nicht mit eigenen Augen gesehen habe. Ist das etwa die große Entdeckung, von der Grenville gesprochen hat? Falls ja, fürchte ich, dass sie sein Leben gefordert hat – und etwas im Inneren der Insel aufgeweckt hat.\n\n– Renée Marie Cartier

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