Mein Königreich für die Tinkturen einer Kräuterhexe, um dieses infernalische Niesen zu heilen!\n\nTrotz allem ist es mir unmöglich, in diesem grünenden Wunderland lange eine üble Stimmung beizubehalten. Ich konnte sogar um ein neues Tintenfass und Federn feilschen.\n\nWenn ich es mir recht überlege, sind Briefe und Literatur auf dieser seltsamen Insel überraschend verbreitet. Aber wahrscheinlich ist das kein Wunder. Wir haben nichts als Zeit im Überfluss, warum also nicht von irgendwem Lesen und Schreiben lernen. In einem solchen System verbreitet sich die Schriftkundigkeit. Sprache als Krankheitserreger. Eine erfreuliche Ansteckung, muss ich gestehen.\n\nAls ich in der Stadt ankam, fand ich einen angemessenen Ort, um mir den Staub der Straße aus der Kehle zu waschen. Meine gute Laune brachte mich sogar dazu, fröhlich zu pfeifen. Sogleich stand eine knorrige Eiche von einem Mann neben mir und sprach: "Wohl bekomm’s, Fremder, aber das Pfeifen solltest du unterlassen. Ebenso das Singen und Tanzen."\n\nZuerst dachte ich, das Ziel eines ländlichen Streiches zu sein. Wie absolut calvinistisch! Angesichts der Ernsthaftigkeit seiner Enthaltsamkeit und nicht zuletzt der enormen Größe seiner eichenen Knöchel hielt ich es für diplomatisch, mich zu fügen. Alle in dem Raum waren zwar fröhlich, aber es gab weder Musik noch Tanz. Die Gespräche waren nur ein leises Murmeln.\n\n– Ichabod Shaw

Eine Seite aus dem Tagebuch von Ichabod Shaw

Einleitungen und Tintenfässer

Ich bin kein Abenteurer. Verstaubte Gräber mögen Männer von Grenvilles Schlag anlocken, nicht aber mich. Meine gelehrten Untersuchungen beschränken sich auf Bücher und Befragungen. Ich möchte die Volksmärchen und die Kultur zusammenstellen, die in dem einzigartigen Schmelztiegel dieser Insel entstanden sind.\n\nZu diesem Zwecke suchte ich den Mann mit den Eichenknöcheln auf – sein Name ist Zadok – und stimmte ihn mit Getränk und Trinkspiel gewogen. Wenngleich seine Worte undeutlich waren, als er endlich zu erzählen begann, gab seine alkoholgesäuerte Zunge doch allerhand faszinierende Kleinigkeiten preis.\n\nEr sprach von einer Tanzseuche, einem ansteckenden Zwang, Tag und Nacht umherzuwirbeln. Er sprach von einer sich verbreitenden Pandemie und von Menschen, die sich buchstäblich zu Tode tanzten.\n\nEr schlief ein, bevor er mehr darüber ausplaudern konnte. Was für eine wunderbar groteske Vorstellung. Eine Tanzseuche!\n\n– Ichabod Shaw

Die Tanzseuche

Im ausgenüchterten Tageslicht ist Zadok sehr viel weniger gesprächig. Er schickte mich fort und gab nur vages Gegrummel von sich. Später am Abend wiederholte ich meine Trinklist, hatte damit aber weit weniger Erfolg. Bis zum Rand gefüllt begab ich mich nach draußen, um Wasser abzuschlagen. Plötzlich behelligte mich ein gewaltiger Oger von einem Mann in einer Gasse und drängte mich gegen eine Wand. Sein Atem stank nach den Verlorenen. Ich befürchtete schon, er wolle mir körperliche Gewalt antun.\n\nStattdessen flüsterte er: "Hast du ihre Musik gehört? Hast du die Smaragdkönigin gesehen?"\n\nBevor ich eine Antwort stammeln konnte, stapfte der Riese auf den Wald zu. Dabei kicherte er etwas zu kindisch für seine enorme Größe.\n\n– Ichabod Shaw

Eine Frage im Dunkeln

Die tagelangen Befragungen der Einwohner und dutzenden weiterer Trinkspiele mit Zadok scheinen Früchte getragen zu haben. Diese Tanzseuche, wenn es sie denn je gab, die war vor langer Zeit. Wenngleich Zeit hierzulande nicht einfach zu messen ist. Die Einzelheiten variieren von einer Person zur nächsten. Worin sich allerdings alle einig sind, ist, dass viele daran gestorben sind. Einige behaupten gar, dass ihre erschöpften Körper die ewige Ruhe gefunden haben.\n\nEinige halten die Seuche für eine Strafe. Dieses fruchtbare Land hat endlose Kriege und Streitigkeiten zwischen denen erlebt, die es beherrschen wollten. Und die Leute meinen, das Land habe endlich genug.\n\nAll das hängt lose mit einem Mythenzyklus zusammen, in dem es um eine Gestalt namens "Smaragdkönigin" geht. Man nennt sie außerdem den "Grünen Geist" oder die "Unersättliche Musik". Die Meinungen gehen auseinander, ob es sich dabei um ein tatsächliches Wesen handelt oder nur den Tanzwahn, dem eine allegorische Gestalt verliehen wurde, eine Form, die von den Tanzenden im Rausch ihrer Besessenheit erblickt wird.\n\nNur ein Teil der Gemeinde glaubt an all das, und sie sind der Meinung, dass wir das Land und seine Gaben in Stille genießen sollten.\n\n– Ichabod Shaw

Wer ist die Smaragdkönigin?

Zadok zeigte mir heute etwas höchst Interessantes. Er nahm mich mit nach draußen zum Waldrand. Eine Frau und zwei Männer tanzten dort. Ihre Gesichter zeigten keinerlei Bewusstsein für ihre Umgebung, selbst als ich ihnen zurief. Ich nehme an, dass er und die anderen Gläubigen die Tänzer von der Bevölkerung ferngehalten hatten, um eine Ansteckung zu vermeiden.\n\nIch versuchte, mich den Tänzern zu nähern, aber er hielt mich mit einem stählernen Griff am Arm zurück. Er erzählte mir von einem Buch, das er einst gesehen habe und in dem es ausschließlich um die Smaragdkönigin ginge. Er sagte dies nur, um mich von den Tanzenden wegzulocken. Und es funktionierte.\n\n– Ichabod Shaw

Die Tänzer

Ich muss dieses Buch finden! Ich habe so viele Fragen. Hat sich die Tanzseuche wirklich ereignet? Und wenn ja, was hat sie ausgelöst? Massenhysterie? Das Gift des Mutterkorns? Eine tatsächliche übernatürliche Wesenheit?\n\nWas hatte ich im Wald miterlebt? Waren sie kontrollierte Fälle der überlebenden Seuche? Oder nur weitere, von alten Geschichten befeuerte Hysterie?\n\nAus irgendeinem Grund muss ich an eine bestimmte Ameisengattung denken, die oft einer noch bestimmteren Pilzgattung zum Opfer fällt. Die Sporen verhexen den Verstand der Ameise und bringen ihren Körper unter die Kontrolle der unsäglichen Beweggründe des Pilzes.\n\nIch muss dieses Buch finden.\n\n– Ichabod Shaw

Ichabods Fragen

Ich träumte. Ich sah eine prachtvolle Gestalt in Grün. Ich konnte es nicht ertragen, sie direkt anzublicken. Mit einem Messer veränderte ich mein Stimmorgan, um besser singen zu können.\n\n– Ichabod Shaw\n\nErgänzung – ich erwachte heute morgen und fand den obigen Text in meinem Tagebuch. Er ist zwar in meiner Handschrift geschrieben, aber ich erinnere mich weder an seine Niederschrift, noch an den Traum, um den er sich dreht. Merkwürdig.

Welche Träume kommen mögen

Heureka, ich habe es geschafft! Ich habe das Buch bekommen. Auch wenn ich nicht stolz darauf bin, wie es geschah. Es war eindeutig nicht meine Art zu handeln. Nichtsdestotrotz habe ich viel zu lesen.\n\n- Ichabod Shaw

Der Erhalt des Buches

Ich bin fast fertig mit dem Buch. Heute konnte ich mich nicht mehr auf die Worte konzentrieren. Ich beschloss, spazieren zu gehen. Ich wandere am Rand des Waldes entlang. Ich summe eine Melodie; wenn ich die richtige Harmonie treffe, ist es fast so, als könnte ich eine ferne Musik hören. Wie das Meer in einer Muschel. Ich höre einen Rhythmus ...\n\n– Ichabod Shaw

Infiziert mit dem Summen

Meine Sicht ist im Dunkeln sehr schlecht. Ich wollte nicht hierher kommen, aber meine verräterischen Beine brachten mich dennoch her. Summen. Ich kann es fast hören! Ich kann nicht aufhören, mich hin- und herzuwiegen. Ich werde mein Tagebuch hier am Waldrand zurücklassen, nur für kurze Zeit. Vielleicht werde ich sie sehen.\n\nWenn ich summe, kann ich die Worte hören. Der Rhythmus erzeugt in meinem Mund Verse.

Ichabods Tagebuch Kapitel - NWGuide Datenbank

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