Als Fallensteller war ich bereits in jedem Winkel des Entermesserriffs unterwegs, von den Salzigen Sümpfen bis zur Lauen Steppe. Ich habe zwar schon Vieles erlebt, aber die Geschichten über den Wilden hielt ich nie für wahr.\n\nEs begann mit dem kläglichen Geheul eines Bären, der in eine Falle geraten war. Als ich mich an die klagende Bestie heranschlich, erblickte ich ihn. Ein großer, kräftiger Mann mit struppigen Haaren und Bart und Augen, die seine Umgebung durchdrangen. Er bewegte sich wie ein Tier und näherte sich furchtlos dem Bären.\n\nEr öffnete die Falle, streichelte die dankbare Bestie und schickte sie fort.\n\nDie Jahre in der Wildnis haben mich zwar abgehärtet, aber dennoch hatte ich Angst vor ihm. Er muss mein lautes Herzklopfen gehört haben, denn plötzlich wandte er sich mir zu, nur, um dann einen Baum zu erklimmen und über die Äste des Waldes zu fliehen.\n\nDie Falle war so verbogen, als bestünde sie aus feinstem Kupferdraht.\n

Eine wilde Begegnung

Tagebuch eines Fallenstellers

Es ist, als wäre ich besessen oder hätte eine juckende Stelle, an die ich nicht herankomme. Ich kann nicht aufhören, nach dem Wilden zu suchen. Manchmal erblicke ich ihn für einen kurzen Moment. Doch immer nur flüchtig. Er bewegt sich wie ein Panther und rennt schneller als ein Reh auf allen Vieren. Die Waldtiere und Vögel haben keine Angst vor ihm. Selbst die Zornigen Erdkreaturen beachten ihn nicht.\n\nMehr als einen Blick kann ich nie erhaschen. Er weiß immer, dass ich da bin. Er hört jedes Knacken der Zweige und jedes Rascheln der Blätter. Vermutlich kann er sogar meinen Atem riechen und weiß, was ich am Abend zuvor gegessen habe.\n

Die Verfolgung des Wilden

Ausgerechnet das! Eine blöde Flöte hat es vollbracht. Ich hatte das alberne Ding bei einem reisenden Händler gekauft. Ich spiele zwar nicht besonders gut, vertreibe mir aber gerne damit die Zeit. \n\nMeine unbeholfene Musik ließ den Wilden von einem Baum herabsteigen. Wir beobachteten einander. Ziemlich lange. Dann lief er davon. Vielleicht kann ich ihn ja noch einmal anlocken.\n

Musik besänftigt den Wilden

Er kann sprechen! \n\nEs hat zwar einige Monate quälend langsamen Fortschritts gedauert, aber endlich hat der Wilde mit mir ein mageres Mahl geteilt. Und dann noch eines. Es wurde nahezu zu einer allwöchentlichen Angelegenheit. Meinen Tabak mag er zwar nicht besonders, aber ihm schmeckt mein Bier. \n\nGestern Abend drehte er sich, kurz bevor er aufbrach, zu mir um und sagte: "Tausend Dank" in einem Dialekt, den ich nicht zuzuordnen vermag.\n

Der Wilde spricht

Heute Abend hat der Wilde gedichtet und mir in Reimform eine Geschichte erzählt, die ich noch nie zuvor gehört habe. \n\nEr erzählte mir von einem großen Zedernwald. Von einer Stadt, die alle anderen an Pracht übertrifft und die wie Messing in der Sonne glitzert. Er erzählte mir von einem Gefährten, einem Kampfgenossen, seinem zweiten Ich. Er erzählte mir von epischen Schlachten, fantastischen Reisen und der Jagd nach einem schrecklichen Ungeheuer. Er erzählte mir von Tragödien und Tod. Er erzählte mir von einer Flut in alten Zeiten und der Suche nach Unsterblichkeit in den abgelegensten Winkeln der Welt.\n\nVon all diesem und mehr erzählte er mir. Ich saß staunend da.\n\nNachdem er fertig war, saßen wir eine ganze Stunde schweigend nebeneinander. Dann wandte er sich zu mir und sprach: "Natürlich wurden die Einzelheiten etwas abgewandelt, als es in Stein gemeißelt wurde".\n\nGenauso sagte er es. Nicht "zu Papier gebracht", sondern "in Stein gemeißelt".\nDas werde ich nie vergessen.\n

Tagebuch eines Fallenstellers Kapitel - NWGuide Datenbank

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